Ja leider – es gibt auch Outdoor-Aktivitäten am Berg, denen eine umweltfreundliche Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln abhandengekommen ist.
Dabei sind es ausgesprochene Ökofreaks, die es heute noch mit einer so aparten, vierbeinigen Begleitung in die Berge zieht. Aber davon gibt es nur noch Wenige. Denn Dampfmaschine, Elektro- und Verbrennungsmotor haben während etwas mehr als 100 Jahren bei der gegenwärtigen Generation unserer technikorientierten Welt das über Jahrtausende angesammelte Know-how einer erprobten und bewährten Technologie fast komplett gelöscht: das Wissen um das Säumen, dem Transport von Waren auf Pferde-, Esel- oder Mulirücken und den Umgang mit diesen liebenswürdigen „Transportmaschinen“ aus Fleisch und Blut.
Von Jugend an ein Bergfex, zieht es mich im Alter nun mit einer Saumtierbegleitung in die Berge. Dabei habe ich mein Interesse für alte Handelsrouten, die an unzähligen Stellen unseren Alpenbogen überquerten, entdeckt. Mit meiner jungen, hübschen und langohrigen Freundin versuche ich sie zu erwandern.
Zu meinem 70-er wollte ich mir selbst ein Geschenk machen: Eine Saumtierwanderung über alle sechs großen Tauern unserer Hohen Tauern, die in der Hochblüte des Saumwesens als Handelsrouten zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung Salzburgs beigetragen hatten. Die Route war schnell gefunden. Nach einem Start im Krimml im Pinzgau und sechsmaligem Überqueren des Alpenhauptkammes sollte nach gut 400 Kilometern und fast 20.000 Höhenmetern in Böckstein im Gasteinertal der Abschluss sein. Aber etwas störte mich dabei: Bei meinen, bestimmt umwelt- und klimaneutralen Wanderungen, bin ich auf eine nicht gerade klimafreundliche Anreise mit einem Pferdetrailer angewiesen. Diesmal hatten Startpunkt und Zielpunkte leistungsfähige Bahnhöfe mit Rangiergeleisen – so auch mein Wohnort. Wenn das, was in meiner Jugend noch möglich war, eine leistungsfähige Bahn auch heutzutage noch schafft, sollten wir doch klimafreundlich mit der Bahn anreisen können. Pferde werden um die ganze Welt geflogen, mit der Bahn sollte es doch auch gehen!
Ich begann zu recherchieren: Im August 2018 gingen auf sozialen Medien und in der Presse Fotos der Haflingerdame Frieda viral, deren Besitzer mit ihr in den REX 3415 von Stainach-Irdning nach Attnang-Puchheim eingestiegen war – und zu seinem Bedauern wieder aussteigen musste. Die ÖBB retweetete damals: „Nachahmung wird nicht emFOHLEN – Selbstverständlich ist der Transport von Pferden in unseren Zügen nicht gestattet.“ „Wir hoffen, dass dies eine einmalige Sache bleibt und keine Nachahmungstäter findet“, meinte dazu ÖBB-Sprecherin Juliane Pamme gegenüber der Presse.
Das Tiertransportgesetz 2007 regelt zwar auch die Bestimmungen für den Transport von Pferd, Esel, Muli & Co in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Schienenfahrzeugen. In der Praxis hat die Bahn aber den Lebendtiertransport aus logistischen und wirtschaftlichen Gründen der Straße überlassen. Die Deutsche Bahn hat diesen Schritt zusätzlich noch damit begründet, dass man bei diesem „hoch emotionalen Thema nicht den öffentlichen Prügelknaben spielen wolle.“
Bei der ÖBB kann man die Information finden, dass in ihren Zügen unter entsprechenden Auflagen kleine und ungefährliche Tiere und Hunde mitgenommen werden können. Wenn den Ureinwohnern Amerikas die ihnen unbekannten Pferde wie „Shunka Wakan-s“, also große Hunde erschienen, ist nach meinem Dafürhalten meine Eselin dagegen „ein kleiner großer Hund“. Leine ist sie von unseren Touren gewohnt und Maulkorb, nun gut, kennt sie auch, liebt ihn aber nicht, weil sie ihn nur als Fressbremse kennt, wenn sie bei uns als Halbwüstentier auf üppige Kuhweiden darf. Bevor ich mich an die Buchung eines Tickets für einen „kleinen großen Hund mit Maulkorb an der Leine“ machte, wollte ich doch noch einmal nachfragen – nicht beim Schmiedl sondern gleich beim Schmied: Am Tag ihrer Angelobung und erstem Tag im Amt erzählte ich der Leonore, unserer „Bahnministerin“ von meinem Vorhaben: Ideal, und für uns ausreichend, wäre ein bequemes Abteil für meine Freundin mit Einstreu, Heu und Tränkemöglichkeit, in dem auch ich sie begleiten kann. Auf der Stecke Zell am See – Krimml wären wir auch mit einem Stehplatz zufrieden. Bei der Reisedauer wären wir flexibel, diese sollte aber in einem verträglichen Rahmen bleiben. Vielleicht hat meine Bitte und meine Eselin bei ihr ein kurzes wohltuendes Runterkommen bewirkt und konnten für sie zumindest ein kurzzeitiges Innenhalten in diesem Strudel aus High-Tech, Digitalisierung und Klimaschutz bringen.
Mittlerweile habe ich mich schon deutlich von meinem Siebziger entfernt. Auf Leonores Antwort auf mein Mail, warte ich noch immer. Mein Geburtstagsgeschenk habe ich aber mit viel Wetterglück erhalten: Unvergessliche Wochen und Erlebnisse mit meinem Saumtier – manchmal fast zu heiß, wie am vorletzten Tag im Anstieg zum Korntauern. Bei der Kassa der Ankogelbahn hatte ich über eine halbe Stunde verhandelt, ob man mich und meine Eselin nicht bis zur Mittelstation mitnehmen wolle, um uns den Aufstieg in dieser brütenden Hitze zu erleichtern, und verwies dazu auf ein Foto auf Facebook vom Esel Chicco San, der in der Seilbahn von Meran 2000 mitfährt. Wir waren schon fast am Einsteigen in eine der Gondeln, als von höherer Stelle ein „Nein“ kam: „Da stehen wir sicher mit dem Esel in den Medien!“.
Säumen, Wandern mit Esel, Pferd oder Muli ist für mich nicht das oft zitierte „Entdecken der Langsamkeit“ – sondern ein bewusstes „Zurück zum menschlichen Maß“ im Raum und in der Geschwindigkeit. Nur im menschlichen „Normaltempo“, dem Wanderschritt, öffnet sich uns die ganze Welt mit all ihren Details und Schönheiten. Eine dieser unscheinbaren Kleinigkeiten durfte ich zum Abschluss meiner Tour beim Trailer in Böckstein entdecken – in Form des § 23 Abs (6) unserer StVO: Wenn man mit einem Saumtier in den Bergen unterwegs ist, muss man mit dem Trailer im angekoppelten Zustand den Wanderparkplatz blockieren oder ihn heimstellen und wiederbringen lassen. „Ungekoppelt“ darf er dort nicht stehen. Der Charm meiner Begleiterin half, dass mir die Strafe erlassen wurde.
Solch bürokratische Kleinigkeiten, ein heißer Aufstieg unter den Gondeln in luftiger Höhe oder die am Fenster des Linienbusses blattgedrückten Kindernasen mit ihren winkenden Händen, während wir uns mit einem öden Talhatscher abplagen müssen, das sind die Momente, in denen ich jeden unheimlich beneide, der sorgenlos mit Öffis auf dem Weg in die Berge sein darf. Ich träume dann, wie schön es wohl einmal war, neben seiner vierbeinigen Wanderbegleitung im Stroh des „gedeckten Güterwagens“ zu liegen und entspannt anzureisen – wir kennen es aus Westernfilmen. Ich wünsche es mir zu meinem Achziger.