Sehnsucht Weitwandern – Verlockende Fernwege in Österreich

Rezension von Sarah Pallauf aus „Bahn zum Berg“-Sicht

Die Autorin des Buches, Claudia Schallauer, „kenne“ ich eigentlich vor allem von Social Media und ihrer Webseite 99erstemale.at. Auf dieser bietet sie einmalige, regionale Erlebnisse für Menschen, die Neues suchen, an. Ihre Facebook-Gruppe „Sehnsucht Wandern – Genuss-Berg-Touren in OÖ und Ö“ zählt beeindruckende 4.900 Mitglieder. Sie ist also recht umtriebig und postet auf verschiedenen Kanälen ihre Touren, vor allem, aber nicht nur für Oberösterreich. Ihr neues Buch „Sehnsucht Weitwandern“ ist 2024 im Verlag Anton Pustet erschienen. Die Stichworte „Bahn zum Berg“ oder „Öffi-Wandern“ kenne ich von ihren Beiträgen eher weniger – aus dieser BzB-Perspektive habe ich mir auch das neue Buch angesehen.

Persönliches in Softcover

Der erste Eindruck ist ein schöner: Das Buch ist ein Softcover-Buch, mit ansprechendem Cover und das Format (ob das wohl Quart ist?) finde ich irgendwie cool und neu. 189 Seiten reich bebildert sind nicht wenig Gewicht, aber das Buch ist wohl eher als Inspirationsquelle gedacht als tatsächlich auf Wanderungen mitgenommen zu werden. Im Regal sieht es jedenfalls sehr hübsch aus.

Foto: Sarah Pallauf
Hübsch sieht es auch im Grünen aus: „Sehnsucht Weitwandern“

Gleich im Buchumschlag erzählt Claudia Schallauer, was Weitwandern für sie bedeutet: „Weitwandern ist für mich die erfüllendste und auch ehrlichste Art, eine Region, ihre Natur und Menschen kennenzulernen.“ Der persönliche Ton in diesem Wanderbuch ist für mich somit von Anfang an spürbar. Das Vorwort „Grias di!“ und der Wordrap mit der Autorin, den man gleich zu Beginn findet, führt das weiter. Vor mir liegt also ein Buch, das knappe Routenbeschreibungen bietet und wenig persönliche Fotos von Wegweisern, sondern eines, bei dem die Autorin tiefen Einblick gibt in das, was sie beim Weitwandern bewegt. Was sie am Weitwandern fasziniert. Was sie immer mit dabeihat. Was sie daran liebt. Das spricht mich an, das macht mich neugierig.

Auch die Einführung ist persönlich gehalten: Schallauer gibt den Tipp, beim Weitwandern Erwartungen gegenüber einer Wanderbegleitung vorab gut zu kommunzieren, sagt, welche Wegabschnitte für sie am kraftraubendsten sind (Tagesstart mit 400 hm steilem Abstieg) und gibt zu, dass ihr für das Thema „Weitwandern mit Hund“ die Expertise fehlt. Ich finde sie dadurch schnell spürbar, ich bekomme schon beim Blättern bald ein Gespür dafür, worum es ihr beim Weitwandern geht.

„Alles ist ok“ – aber ist das auch umweltfreundlich?

Was mich überrascht und was ich auch im Vergleich zu anderen Weitwanderbüchern bemerkenswert finde, ist ihr Zugang zur Frage „Welcher Weitwandertyp bist du?“. Hier beschreibt sie alle Varianten, vom Selbertragen des gesamten Gepäcks und Übernachtung im Matratzenlager bis zum Gepäcksshuttle und 4-Sterne-Hotel mit Pool. Auch wenn mich persönlich letztere Variante irgendwie stutzig macht (weil ich beim Wandern wirklich noch nie an ein Hotel mit Pool gedacht habe), mag ich Schallauers Art, alle mitzumeinen und keinen fix vorgegebenen, „einzig richtigen“ Weitwandertyp zu proklamieren. Sehr inklusiv liest sich das.

Die Stimme in meinem Kopf ruft mir nun aber die „Bahn zum Berg“-Perspektive in Erinnerung, um die es in dieser Rezension ja – auch – gehen soll. Ich vergesse deshalb wohl schon beim Lesen des Buches auf sie, weil sie in Schallauers Einführung zum Weitwandern nicht schnell zu finden ist. Sie merkt zwar an, dass Hütten „oft aus Nachhaltigkeitsgründen keinen Gepäckshuttle“ anbieten, sagt aber auch nicht, wie sie selbst zu diesem Thema steht. Dass ihr die Natur beim Weitwandern so wichtig ist und es für sie zugleich scheinbar in keinem Widerspruch steht, sich (ja wohl kaum mit dem Bus, sondern) mit dem Auto das eigene Gepäck von Unterkunft zu Unterkunft bringen zu lassen, hinterlässt bei mir einen etwas schalen Nachgeschmack. Und ein wenig Traurigkeit. Zu sehr wünsche ich mir, dass dem Thema umweltfreundliche Mobilität beim Bergsport einfach richtig viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Hier könnte die Autorin meiner Ansicht nach auch klar und direkt sagen, wie wenig umweltfreundlich ein solcher Auto-Gepäcksshuttle ist.

Inhaltlich top

Inhaltlich bewerte ich die Einführung als sehr umfassend – Schallauer bietet nicht nur ausführliche Packlisten, sondern sagt auch, welche 7 Umstände sich leicht vermeiden lassen und teilt mir ihren Leser*innen ihre Planung für Weitwanderungen mit genauem Zeitplan (wobei sie keine „Spontanweitwanderin“ ist – die Planung beginnt 3-5 Monate vorab).

Im Buch geht es weiter mit den Tipps – ausführlich, mit vielen Erklärungen, schön bebildert und fein zu lesen. Ich mag ihren Schreibstil: Klar, persönlich und anschaulich. Aber auch hier gilt das, was mir in der Einführung schon aufgefallen ist: Meine Bahn zum Berg-Brille geht leer aus. Das Buch bietet viele Infos zu Themen wie Orientierung, Materialien, Gehtechnik, richtigem Fotografieren, Gesundheit oder Begegnung mit Tieren – den Aspekt „Öffentliche An- und Abreise“ erwähnt sie nicht. Wieder einmal – schade!

Foto: Sarah Pallauf
Packliste: visualisiert

Eine persönliche Reise durch 4 Weitwanderwege in Österreich

Nach vierzig Seiten Einführung und Einstimmung wird es nun konkret. Claudia Schallauer widmet sich vier Weitwanderwegen in Österreich, die sie – nicht am Stück, sondern abschnittsweise, und auch zu unterschiedlichen Jahreszeiten – gegangen ist:

  • Johannesweg im Mühlviertel
  • Luchstrail im Nationalpark Kalkalpen und Gesäuse & im Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal
  • Lebensweg im Südlichen Waldviertel
  • Hohe Tauern Panorama Trail im Pinzgau und Pongau

Die Auswahl der Fernwege gefällt mir auf Anhieb und was mir noch gefällt, ist, wie die Autorin sie beschreibt. Einem 2-seitigen Fact sheet über den Weitwanderweg folgen zwei Seiten „Persönlicher Ausblick“. Hier gibt sie auf die bereits bekannte ehrlich-authentische Art und Weise Einblick in diesen Weg, stellt Impulsfragen wie „Macht es dir Spaß, täglich über 1000 Höhenmeter zu wandern?“ (Luchstrail) und benennt, was für sie diesen Weg so besonders gemacht hat, z.B. „Es sind nicht die großen Wow-Erlebnisse […], sondern die stillen, kleinen Momente, die die Magie des Lebensweges für mich ausmachen: die Begegnungen, die Gastfreundschaft, das Einfache und manchmal Unperfekte. So wie das Leben.“ (Lebensweg, S. 98)

Foto: Sarah Pallauf

Danach folgen die Etappen des Weges, so wie sie ihn gegangen ist. Besonders fein finde ich das Kästchen zu Beginn der Fließtexte über die Etappen: Abgesehen von den Angaben zu den Kilometern und Höhenmetern finden sich hier auch gleich Highlights, Einkehrmöglichkeiten, praktische Tipps (z.B. „Etappe besser auf zwei Tage aufteilen“) aus ihrer eigenen Erfahrung und eine Sternchen-Bewertung für den Weg, die Landschaft und das Erlebnis. Was hier fehlt, überrascht mich nun schon nicht mehr: eine Info zu Öffi-Haltestellen, die in der Nähe sind. Mit dieser Info wäre es Menschen, die ohne Auto unterwegs sind, und vielleicht einen Weg nur etappenweise gehen möchten, zumindest schneller möglich, zu verstehen, ob dies bei diesem Wegabschnitt überhaupt möglich ist.

Die Texte über die Etappen lesen sich äußerst angenehm: Schallauers Stil bleibt persönlich, die Erzählungen anschaulich, sie verliert sich aber nicht im Detail. Bei meiner letzten Rezension habe ich kritisiert, dass es mich nicht sooo sehr interessiert, wie oft sich der Autor ein Weckerl am Bahnhof kauft – das passiert Schallauer nicht. Ihre Texte packen mich, ich lese gerne weiter. Auch sie beschreibt Details, aber es sind spannende – sie erzählt von besonderen Begegnungen, von Blumen, die sie zum ersten Mal sieht, von Regenschauern und netten Dorfbewohner*innen. Sie nimmt die Leser*innen auf eine persönliche Reise mit und für mich wird sehr spürbar, wie es ihr auf den einzelnen Wegen gegangen ist und was diese Fernwege für sie bedeutet haben. Das macht Lust und inspiriert! Auch ihre Fotos empfinde ich als stimmig und schön ausgewählt, zugleich unterstützen sie den Text – es ist ja kein Bildband, sondern ein Wanderbuch, das vor mir liegt.

Foto: Sarah Pallauf

So sehr ich die Weitwanderberichte von Claudia Schallauer mag, so sehr bleibt meine Öffi-Traurigkeit bestehen und meine Bahn-zum-Berg-Brille unbefriedigt zurück, auch bei den genaueren Berichten der vier Wege. Zwei Beispiele daraus: Zwei Etappen am Luchstrail geht sie „andersherum“, aufgrund von Wetterverhältnissen (Seite 82 im Buch). Das ist ja überhaupt nicht schlimm. Dass sie dann aber zu dritt mit zwei Autos unterwegs sind, um diese Etappen verkehrstechnisch zu bewältigen, irritiert mich dann doch. Und selbst wenn das nicht anders möglich war, hätte ich mir hier eine ebenso ehrliche Anmerkung wie „leider gelingt uns dieses Mal keine umweltfreundliche Anreise“ sehr gewünscht. Mein Wunsch wird nicht erfüllt. Zweites Beispiel: Das Shuttle beim Johannesweg findet sie „sensationell ausgearbeitet“: Es gibt 18 Abholstationen, bei denen man sich per PKW abholen lassen kann und somit die Weglänge angepasst werden kann. Für Menschen, die Komfort suchen, für Einstiegs-Weitwanderungen sicher fein. Dennoch kann ich hier nicht nachvollziehen, warum die Autorin auf ein solches „Service“ auch mit einem kritischen Auge blickt. Ich erinnere mich hier an ein Gespräch mit einem Hotellier in Ysper, der es „völlig absurd“ gefunden hat, dass der Lebensweg im Südlichen Waldviertel eigentlich nur funktioniert, in dem man sich zwischendurch immer wieder vom Auto abholen lässt. So viele PKW-Kilometer. Hier wurde offenbar bei der Weitwanderwegsplanung keine Öffi-Brille aufgesetzt.

Fazit: Ansprechend-persönliches Buch ohne Öffi-Brille

Wer ein richtig ansprechendes Buch über vier tolle Fernwege in Österreich lesen möchte, kommt hier sicher auf seine*ihre Kosten. Wer sich gerne tiefer damit beschäftigen möchte, warum er oder sie eigentlich weitwandert, dem bietet dieses Wanderbuch feinfühlige, schöne Inspirationen. Wer der Autorin Claudia Schallauer auf ihrer sehr persönlichen und sehr ansprechend geschilderten Reise folgen möchte – dieses Buch bietet all das. ABER – wer nach Weitwanderungen mit Öffi-Brille, nach Fernwegen mit Bahn-zum-Berg-Gedanke sucht, der*die wird hier leider so gar nicht fündig.

Foto: Sarah Pallauf
Blick ins Buch

Sarah Pallauf
Sarah Pallauf

Sarah ist zertifizierte Wanderführerin und hat ihre Leidenschaft zum Wandern in Jordanien entdeckt. Seit 2022 leitet sie Zug- und Wanderreisen im Nahen Osten und liebt die Begegnungen, die auf diese Weise entstehen. Deshalb hat sie auch in Wien eine eigene Wandergruppe namens dunya - Begegnung in Bewegung gegründet. Bei "Bahn zum Berg" ist sie seit mehreren Jahren Tourenreporterin und zuständig das bunte Eventprogramm.