Pilgern – eine persönliche Geschichte

Mariazeller Weg, Via Sacra, Sebaldusweg, Jakobsweg, Johannesweg – in Österreich gibt es zahlreiche Pilgerwege. Viele Menschen sind unterwegs, auf der Suche nach Spiritualität, innerem Frieden, Selbstfindung oder einfach um des „Unterwegssein“ willens.

Im folgenden Text erzählt „Bahn zum Berg“ Mitglied und Pilgerin D., warum Öffis und Pilgern für sie zusammen gehören, gibt Tipps und gewährt Einsichten in ihre persönlichen Erfahrungen.

Religion ist out, Pilgern ist in

Wenn man den Medien glaubt, ist das Urteil des Mainstreams relativ eindeutig. In unseren Breiten steigen die Kirchen-Austrittzahlen massiv, während die Pilgerwege boomen. Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären? Denn im Umkehrschluss bedeutet dies: Viele Nicht-Religiöse Menschen machen sich auf den Weg, nicht umsonst erfreut sich der Jakobsweg nach wie vor großer Attraktivität. In vielen anderen Religionen kennt man übrigens Pilgern oder Wallfahrten, beim letzteren steht das spirituelle Erlebnis am Ziel im Fokus, während es beim Pilgern auch um die Erfahrungen auf dem Weg dorthin geht. Im Islam gibt es den Haddsch, in der anglikanischen Kirche das Grab des Saint Thomas in Canterbury und im Shin-To den Großschrein von Ise, um nur ganz wenige Beispiele zu nennen. 

Für mich als gläubige Katholikin, die mit der Natur von klein auf verbunden ist, liegen die Motive auf der Hand: Beim Pilgern komme ich zur Ruhe, beim Pilgern finde ich zu mir selbst, zur Natur und zu Gott. Warum macht man sich auf den Weg? Bei mir waren es meist persönliche Entscheidungen oder schwierige Situationen, bei denen ich Abstand und gleichzeitig Lösung erwartet habe.  

Was macht den Unterschied zum Wandern aus? Ich definiere beim Pilgern einen Schlusspunkt – in meinem Fall also eine besondere religiöse Stätte. Außerdem lege ich eine Frage oder ein besonderes Anliegen fest, das ich etwa in Form eines (symbolischen) Gegenstands mitnehme. Dass dieses Anliegen sich noch ändern kann, dazu später.

Dabei muss ich ehrlich gestehen

Meine erste Pilgerreise von Heiligenkreuz über die Via Sacra nach Mariazell war keine angenehme Erfahrung – zumindest die ersten Tage. Die verbrachte ich nämlich hauptsächlich damit, die Karte zu studieren, Fotos zu schicken oder einfach nur verzweifelt zu sein. Ich war es nicht gewohnt, allein zu gehen und mit mir und meinen Gedanken allein zu sein. Weder der Weg machte mir besondere Freude noch stellte sich eine besondere Spiritualität ein. Ständig stellte ich mir die Frage: Was finden andere Menschen daran so toll? Für „Pilger-Novizen“: Die Via Sacra startet in Wien-Rodaun und führt über Heiligenkreuz, das Triestingtal, Lilienfeld, Türnitz, Annaberg und über die „Heiligen Berge“ schließlich nach Mariazell. Als einer der ältesten Wege nach Mariazell verläuft er entlang vieler Hauptverkehrsrouten – landschaftlich dennoch wunderschön. Gerade an einem Wegstück, das Motorradfahrer scheinbar lieben (Türnitz-Annaberg) hatte ich „mein Pilgererlebnis“, nach dem für mich alles anders war: An der stark befahrenen Straße war ich gezwungen mich auf den Weg zu konzentrieren und meine Gedanken und Ablenkungen in den Hintergrund zu schieben. Und siehe da, über meine Lippen kam ein Gebet in Form einer Melodie, die mich nach wie vor beim Pilgern begleitet. Wie in einem Tunnel setzte meine Erinnerung aus – bis heute weiß ich nicht, wie ich dieses sehr „zache“ Stück (viel Verkehr und viele Höhenmeter) bewältigt habe. 

Drei Dinge möchte ich Euch ganz persönlich mitgeben 

Pilgern und Öffis bilden eine perfekte Symbiose. Für mich gibt es nur einen Weg zurück – und den begehe ich natürlich mit den Öffis. Aber auch auf dem Weg hin kann und darf man Wege mit den Öffis abkürzen, schließlich muss man ja nicht päpstlicher als der Papst sein. Ein Vorschlag: Man muss Pilgerwege nicht vor der eigenen Haustür / Stadtgrenze starten. So gibt es zum Beispiel eine Vielzahl an Mariazellerwegen, deren Zwischenpunkte öffentlich gut erreichbar sind. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Ich empfehle, Quartiere im Vorhinein zu buchen und vor allem zu erfragen, ob und wo man etwas zum Abendessen bekommt.

Pilgern kann man überall. Kürzlich war ich am Kahlenberg unterwegs und ging einer meiner persönlichen Lieblingsrouten: Über den Nasenweg vom Kahlenbergerdorf (sehr gut über die Linie 400 von Heiligenstadt erreichbar) auf den Leopoldsberg. Von dort entscheide ich mich jedes Mal neu, wohin der Weg mich führen soll. Diesmal ging ich Richtung Kahlenberg und kam erstmalig bei der Schönstatt-Kapelle vorbei. Und mitten am gut besuchten Kahlenberg fand ich eine Oase der Stille und Spiritualität, der Kühle und Ruhe. Es muss nicht Mariazell oder Santiago de Compostela sein – in ganz Österreich finden sich Orte der Kraft, die nur darauf warten entdeckt zu werden. Schon mal von Maria Langegg im Dunkelsteiner Wald, St. Magdalena im Halltal oder St. Radegund am Heiligen Wasser gehört? Und Pilgern muss nicht immer tagelang dauern, auch ein Tag kann einen Perspektivenwechsel bringen.

Stille und Zuhören. Ich empfehle allen, besonders wenn man in der Gruppe oder zu zweit unterwegs ist, Zeiten des Schweigens zu vereinbaren und gewisse Strecken bewusst hintereinander zu gehen. In dieser Ruhe finden wir die Kraft, die wir suchen. 

Schon mehrfach habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Rückfahrten von Pilgerstätten besonders waren, weil ich Menschen begegnet sind, die mir – ungefragt – ihr Herz ausgeschüttet haben. Ob es der erschöpfte Leiter eines Flüchtlingsheimes, die geduldige Mutter eines schwerstbehinderten Kindes oder der verzweifelte Ehemann mit seiner psychisch kranken Frau war – im Nachhinein widmete ich diesen besonderen Menschen meine gegangenen Kilometer und Gebete. Eine Einladung: Seien wir beim Pilgern offen für das, was die Welt und die Natur uns sagen will. 

Einige hilfreiche Links: 

http://www.mariazellerwege.at/

https://www.pilgerwege.at/pilgern-oesterreich

https://www.austria.info/de/aktivitaeten/wandern-und-alpen/pilgern-in-oesterreich

Das Titelbild dieses Blogbeitrags stammt von einer Pilgerwanderung nach Heiligenkreuz. Auch unsere „Bahn zum Berg“ Tourenreporter:innen haben das berühmte Kloster im Wiener Wald besucht.

Veronika Schöll
Veronika Schöll

Naturgenuss und Outdoor Sport verbunden mit klimafreundlicher Mobilität gehören zu Veronikas essentiellen Energietankstellen. Sie ist komplett autoentwöhnt, die umweltschonende Öffi Anreise zu ihren Touren ist für sie normal. Und sie erzählt gerne über ihre Erlebnisse.